Samstag, 11. September 2021
SYNERGIEN UND NIEDRIGE TOILETTEN
Von Christoph Weber
BREITSCHEID. Die Mieter des Breitscheider Gesundheitszentrums blicken, ebenso wie Bauherr Torsten Germann, trotz Corona durchweg zufrieden auf ihr erstes Jahr in der Medenbacher Straße 17 zurück. Wäre da nicht das eine oder andere kleinere Problem, dann wäre der Informationsaustausch beim ersten Mietertreffen nach der offiziellen Inbetriebnahme am 1. September 2020 zu einer 100-prozentigen Erfolgsstory geworden. Alle anwesenden Mieter waren voll des Lobes. Dabei stand vor allem der Synergie-Effekt der verschiedenen Sparten im Vordergrund.
Ein Problem stellt offenbar das Parken dar. Trotz der rund 75 Stellplätze müssen Kunden das Gebäude immer mal wieder mehrfach umkreisen, weil sich offenbar zunehmend auch Mitarbeiter einen Platz in der ersten Reihe sichern. Dazu kommt, dass im Siegweg zur Überraschung von Bürgermeister Roland Lay (parteilos) und dessen Stellvertreter Thomas Bechtum (FWG) im unteren Bereich absolutes Halteverbot besteht. Hier war am Mittwoch während des Mietertreffens offenbar das geplante Halteverbot vom Feuerwehrstützpunkt in Richtung Medenbacher Straße fest eingerichtet und die mobilen Schilder auf der Gegenseite noch nicht weggeräumt worden. Hier wollen sich die Verantwortlichen zusammen mit den Mietern überlegen, wie das Problem gelöst werden kann.
Das freie WLAN lockt „ungebetene Gäste“
Langsam in den Griff bekommt man die „ungebetenen Gäste“, die das freie WLAN-Netz nutzen und sich abends und am Wochenende beim Gesundheitszentrum aufhalten.
Torsten Germann („Manchmal denke ich, das hier ist alles nicht Realität“) hat mit dem Gesundheitszentrum „alles erreicht, was wir wollen“: „Ich habe es keinen Tag bereut, weil es richtig war, es zu tun.“ Germann steht in den Startlöchern, das Gesundheitszentrum nach dem „Tag der offenen Tür“ am 28. Dezember 2019 noch einmal mit einem „kleinen Volksfest“ zu feiern. Dem steht aber weiterhin Corona entgegen.
Michaela und Jan Luckenbach vom Bistro „Heimatliebe“ mussten von November bis Mai schließen, konnten in dieser Zeit nur ihre Backwaren verkaufen. Danach „kam ja erst mal keiner“. Jan Luckenbach ist klar: „Keiner lässt sich für einen Kaffee oder für ein Frühstück bei uns testen.“ Michaela Luckenbach spricht von einem „großen Einzugsbereich“: „Viele Fremde kommen hier rein.“ Abend- und Sonntagsöffnungen planen beide abwartend: „Vielleicht den Sonntag einmal im Monat testen.“
Silvana Meixner und Laura Bartling von der benachbarten Sparkassenfiliale sprechen von durchweg positiven Bewertungen und einem „Riesenunterschied zu früher“ am alten Standort. „Wenn unsere Kunden beim Arzt sind, machen sie die Bank gleich mit. Gerade die älteren Leute sind froh, alles verbinden zu können.“
Für Sebastian Klein hat sich der Schritt in die Selbstständigkeit gelohnt: „Uns geht es sehr gut, ich habe es nicht bereut.“ Sein Einzugsgebiet für Kunden aus dem Bereich Hören und Sehen sei größer als erwartet. Er hat zu seinen beiden Mitarbeitern eine Auszubildende zur Augenoptikerin aus Gusternhain eingestellt. Ein weiterer Azubi wird wohl 2022 kommen. Zu ihm kommen immer mehr Leute ohne Termine, Kunden, die an seinen Schaufestern vorbeilaufen und einfach mal reinkommen. Klein spricht von einem „tollen Paket mit den Leuten im Haus“.
Auch sein „Nachbar“ Andreas Mrusek ist „hellauf begeistert“. Ihm macht es „jeden Tag Freude“, in seine Apotheke zu kommen. Das Gesamtkonstrukt sei auch für seine Kunden durch die kurzen Wege das Beste. Er hatte aber auch das Parkplatzproblem angestoßen. Obwohl seine Kunden nur kurz parken würden, sofern sie nicht von den Ärzten im ersten Stock kämen, müssten sie teils dreimal um den Block kreisen, ehe sie einen Parkplatz hätten. Diese Einschätzung wurde von anderen Mietern geteilt.
Dass zwei Arztpraxen unter einem Dach arbeiten, ist nicht ungewöhnlich. Dass sich aber zwei Einheiten ein Mietobjekt teilen wie das Landarztnetz sowie die Mediziner Christoph Piel und Andreas Idelberger – das ist nicht alltäglich.
Die Mediziner hatten sich schon in der vergangenen Woche getroffen und dort Dr. Michael Saar vom Landarztnetz zum Sprecher bestimmt. „Wir haben uns in den letzten zwölf Monaten nicht einmal gekloppt“, begann er schmunzelnd seine Jahresbilanz. Inzwischen ist das Team auf acht Mediziner angewachsen. In Spitzenzeiten habe man 50 bis 60 Abstriche gemacht und 1500 Patienten geimpft. „Das wäre in der alten Praxis nicht möglich gewesen“, stellte er klar. Alles sei viel einfacher: kurze Wege und schnelle Kontakte.
„Es läuft“, bilanziert Nikolai Fast und beschränkt sich für das Pflegezentrum auf die neue Tagespflege. Man habe mit einer 85-prozentigen Auslastung kalkuliert, sei aber bei über 90 Prozent. Man habe Tagesgäste aus Rehe, Seilhofen und dem Herborner Raum bis nach Seelbach. Für das Angebot sei keine Werbung nötig, man müsse eher auf die Bremse treten, denn an drei Tagen in der Woche sei die Tagespflege voll. Einzige Kritik, die er von seinen Besuchern mit auf den Weg bekommen habe: „Die Toiletten sind zu tief, aber man hat vorher ja nicht probegesessen.“ Torsten Germann hat diesen Mangel dann auch gleich notiert. Kai Winkel berichtet bezüglich seiner Intensivpflege „tempusleben“ von einem Auf und Ab. Nach einem holprigen Start sei es gut gelaufen, dann habe die Pandemie zu einem Rückschritt geführt. Er habe viele Mitarbeiter, aber wenig Patienten gehabt. Jetzt sei es in dem personalintensiven Bereich umgekehrt. „Die Zusammenarbeit läuft“, blickt er in Richtung seiner Mieterkollegen.
Diese Einschätzung teilt auch Marcel Houplon mit seiner Praxis für Krankengymnastik und Physiotherapie. Er habe Angst gehabt, dass es schwierig wird. Jetzt sei man schon zu Viert und er habe „Patienten mehr als genug“. Dabei geht sein Blick auch zu den Medizinern eine Etage tiefer: „Die Rezepte müssen ja von irgendwo kommen.“ Houplon hat einen Raum an die Diplom-Psychologin Renate Woditschka abgeben können, die das medizinische Angebot erweitert.
Wenig mit Medizin hat die Friseurin Jacqueline Simo zu tun. Auch sie berichtet wegen Corona von einem holprigen Start mit einer dreimonatigen Komplettschließung. Nach dem Neustart hat sie sogar eine Mitarbeiterin eingestellt: „Es wächst immer mehr.“ Sie profitiert auch von der Tages- und der Intensivpflege, wo sie mit ihrer Dienstleistung eingebunden ist: „Es ist genial, wenn alles drum herum passt.“ Sie spricht von einem „schönen Miteinander“ und einer „großen Familie“.
Bürgermeister Lay fand es „interessant zu hören, wie die Sicht der Mieter ist“. Für die Gemeinde sei das Gesundheitszentrum „Gold wert für die nächsten Jahre und Jahrzehnte“. Zudem sei viel außerhalb des Komplexes passiert, seien die alten Standorte der heutigen Mieter wieder besetzt. Das Zentrum sei mit rund 150 Arbeitsplätzen der größte Arbeitgeber der Gemeinde und so ein „Jobmotor auf gerade einmal 4000 Quadratmetern.“
Quelle: Dill-Zeitung