Donnerstag, 23. Januar 2020
ALLE UNTER EINEM DACH
Gesundheitszentrum im Westerwald ist ein Modellprojekt für das ländliche Hessen
BREITSCHEID . Der Provinz gehen langsam die Ärzte aus. Immer mehr Hausärzte finden im Alter keinen Nachfolger für die Praxis, auch weil angehende Mediziner das finanzielle Risiko der Selbstständigkeit scheuen und Wert auf geregelte Arbeitszeiten legen. Dass es Lösungen für dieses Problem gibt, davon konnte sich Hessens Sozialminister Kai Klose am Mittwoch im mittelhessischen Breitscheid überzeugen.
Dort hat die knapp 5000-Einwohner-Gemeinde aus dem Westerwald zusammen mit einem privaten Investor, mehreren Ärzten, einem Apotheker und zwei Banken das Konzept für ein Gesundheitzentrum entwickelt, das ab September dauerhaft nicht nur die ärztliche Versorgung für Breitscheid, sondern auch für die umliegenden Dörfer gewährleisten soll.
Den Anstoß für das Projekt hatte der Hausarzt Michael Saar schon vor neun Jahren gegeben. Ein erster Anlauf zu einem Gesundheitszentrum scheiterte noch an den Verhandlungen mit einem Investor aus Leipzig. Vor gut zwei Jahren startete der heute 67-jährige Mediziner einen zweiten Anlauf, der zunächst im Gemeindeparlament auf fruchtbaren Boden stieß und zudem das Interesse des lokalen Investors Torsten Germann weckte.
„Hier sind zwei bis drei Wunder geschehen, die man aber auch provozieren muss“, berichtete Bürgermeister Roland Lay dem Minister. Dass das Projekt innerhalb von gut einem Jahr auf den Weg gebracht worden sei, habe auch daran gelegen, dass alle Beteiligten in die Planungen einbezogen worden seien.
„Entwicklung von innen heraus“ nennt Germann diesen Prozess, bei dem in vielen Einzelgesprächen mit den künftigen Mietern der individuelle Bedarf abgefragt und in das Baukonzept eingearbeitet worden sei.
Herausgekommen ist ein 72 Meter langes Gebäude, das auf drei Stockwerken praktisch alles rund um das Thema Gesundheit versammelt. Neben vier Ärzten in einer Gemeinschaftspraxis – perspektivisch soll sich deren Zahl auf fünf oder sechs erhöhen – finden sich in dem Komplex auch eine Apotheke, eine Tagespflege und die Gemeindepflegestation sowie eine Praxis für Physiotherapie.
Im Erdgeschoss finden sich künftig zudem neben Filialen der Volksbank und der Sparkasse noch ein Optiker und Hörgeräteakustiker sowie eine Bäckerei mit Café.
Wie stark das Interesse an dem neuen Gesundheitszentrum ist, zeigte sich schon, als 200 Besucher zu einer öffentlichen Sitzung des Gemeindeparlaments kamen, als das Projekt auf der Tagesordnung stand. Zum Spatenstich im vergangenen Frühjahr waren 400 Gäste gekommen, zu einem Baustellen-Café vor wenigen Wochen gar 1000 Besucher.
Und das Projekt zeigt schon jetzt Wirkung weit über die Gemeinde hinaus – schließlich ist die Westerwaldkommune mit dem Problem des Landärzte-Mangels nicht allein. Es gebe bereits Anfragen aus mehreren Gemeinden, berichtete Rathaus-Chef Lay.
So ganz nebenbei schafft das neue Zentrum auch noch Arbeitsplätze. Etwa 40 zusätzliche Stellen würden geschaffen, erklärte Investor Germann. Und Monate vor der Eröffnung mehren sich im Rathaus Anfragen von Interessenten, die sich im Umfeld des Zentrums ansiedeln möchten.
Landrat Wolfgang Schuster (SPD), im benachbarten Driedorf zuhause, warb beim Minister dafür, sich für eine Aufhebung der bislang getrennten Bereiche von stationärer und ambulanter ärztlicher Versorgung stark zu machen. Dieses Modell habe ausgedient.
Ein Netz von Landärzten gegründet
Der Kreis hatte vor einigen Jahren auf Anregung von Hausarzt Michael Saar das Landarztnetz mitbegründet. Die unter dem Dach der Lahn-Dill-Kliniken angesiedelte Gesellschaft beschäftigt derzeit neun Mediziner, die in vier Hausarztpraxen rund 7000 Patienten versorgen. „Vielleicht kann man in ein paar Jahren von einem Erfolgsmodell sprechen“, zeigte sich auch Minister Klose beeindruckt. In Breitscheid ist man davon schon jetzt überzeugt.
Quelle: Dill-Zeitung