Donnerstag, 08.04.2021
INTENSIVPFLEGE TRIFFT AUCH JÜNGERE
Im Breitscheider Gesundheitszentrum leben derzeit vier Personen in einer WG von „Tempus Leben“
Von Christoph Weber
BREITSCHEID. „Tempus Leben“ steht für „Zeit zum Leben“. Unter diesem Motto arbeitet die Intensivpflege im zweiten Obergeschoss des Breitscheider Gesundheitszentrums unter der Regie von Kai Winkel. „Intensivpflege bedeutet nicht todkrank, sondern 24 Stunden von Fachpersonal betreut“, beschreibt Winkel das Prinzip.
Der Geschäftsführer zog mit der GmbH Anfang September in das neue Gebäude. Am 19. September kam der erste Bewohner. Inzwischen sind es vier, die mehr oder weniger mobil sind und die alle rund um die Uhr betreut werden.
22-Jährige ist nach einem Unfall stark gehandicapt
„Das sind nicht prinzipiell alte Leute“, räumt Winkel mit dem Irrglauben auf, Intensivbetreuung sei auf eine solche Altersgruppe beschränkt. Die jüngste der vier Bewohner ist 22 Jahre alt und nach einem Unfall so stark gehandicapt, dass sie jetzt in der Medenbacher Straße lebt.
Viele intensiv zu pflegende Menschen seien durch Schlaganfälle oder Schädelverletzungen so schwer geschädigt, dass sie nicht oder nur teilweise selbstständig atmen könnten, erzählt Winkel. Es gebe aber auch Leute, die mit Beatmung arbeiten könnten, dabei überwiegend für Schreibtisch-Jobs infrage kämen.
Seit Januar stockt der Zugang weiterer Bewohner. Mögliche Kandidaten können derzeit wegen Corona in den Krankenhäusern nicht austherapiert werden. Deshalb erfolgt keine Entlassung beispielsweise nach Breitscheid.
Derzeit arbeiten mit Pflegedienstleiter Uwe Linnebacher 15 Personen in der Wohngemeinschaft. „Linnebacher fachsimpelt mit den Ärzten, als ob er selbst Arzt wäre“, ist Winkel begeistert von der Fachkenntnis des Edingers.
In jeder Schicht arbeiten zwei Pflegekräfte. Die Krankenkassen würden es zwar lieber sehen, wenn im Verhältnis 3: 1 oder gar 4: 1 gearbeitet würde, weil das die Kosten reduziere. „Vier Bewohner und nur ein Mitarbeiter – da piepst es hier und da“, erteilt Winkel diesem Betreuungsverhältnis eine klare Absage.
Wichtig ist ihm auch eine „Bezugspflege“. Dahinter verbirgt sich ein fester Betreuer, der auch Ansprechpartner für die Angehörigen ist. Er will keine „Pflege im Akkord“. Das sei eine „gefährliche Pflege“, bei der der Schuss nach hinten losgehe. Der Mitarbeitermarkt sei erstaunlich gut, wo doch examinierte Pflegekräfte mit der Zusatzausbildung außermedizinische Intensivpflege benötigt würden.
„Das spricht sich rum, und es kommen wöchentlich Bewerbungen rein“, sagt der Geschäftsführer. Die Mitarbeiter kommen auch vom Westerwald und aus dem Marburger Raum. Zwei Pflegekräfte des Elgershäuser Hofs in Greifenstein hätten dessen Umzug nach Gießen nicht mitmachen wollen und seien deshalb nach Breitscheid gewechselt.
Als Alternative zu einem Wohnen unter dem Dach des Gesundheitszentrums nennt Winkel eine „1: 1-Betreuung“ zuhause. Dieses Prinzip sei aber riskant, denn dazu würden fünf Mitarbeiter benötigt, die beispielsweise beim Tod des zu Betreuenden auf einen Schlag ohne Arbeit seien.
So lange nicht alle acht Betten in der WG belegt seien, könnten Intensivpflegepatienten beim Übergang auf die Heimpflege bei „Tempus Leben“ unterkommen, bis das erforderliche Team komplett sei. Auch sei man gern bereit, Angehörige von Zuhause zu Pflegenden zu beraten.
Ziel von Kai Winkel ist aber eine 100-prozentige Belegung. Er hat sein Büro im Nachbargebäude. „Das muss ausgelagert sein, sonst wäre es eine Pflegeeinrichtung“, begründet er diese Zweiteilung.
Winkel hatte im November 2018 an der Informationsveranstaltung von Bauherr Torsten Germann als Teil einer Gemeindevertretersitzung in Breitscheid teilgenommen.
Einzelzimmer für Personal oder für die Angehörigen
Mit der Erkenntnis „das wird ja richtig schön groß“ hatte er gleich am nächsten Tag Kontakt zu Germann aufgenommen und mit ihm zusammen eine Ansiedlung im zweiten Stock des Neubaus durchgespielt. Ursprünglich wollte der Investor dort Wohneinheiten in direkter Nähe zur medizinischen Versorgung anbieten. Diese Pläne wurden dann aber verworfen. Die Intensivpflege passt ihm besser ins Konzept des Gesundheitszentrums.
In dem Gebäudetrakt in Richtung Ortsmitte gibt es acht Zimmer mit einer Größe von 22 bis 26 Quadratmetern und einem zusätzlichen Bad sowie das Herzstück: ein großer Gemeinschaftsraum. Die Bewohner haben nicht nur einen eigenen Balkon vor der Tür, den sie mithilfe des Personals auch im Pflegebett erreichen können. Die Balkonumrandung hat auch an mit der Bettposition im Zimmer abgestimmten Stellen anstelle einer Mauer Glas, durch das mehr als nur eine gestrichene weiße Wand zu sehen ist. Von Beginn an war die Heimaufsicht als zuständige Behörde für die Wohngemeinschaft in das Projekt eingebunden.
Im zweiten Flügel sind Einzelzimmer mit Bädern auf der anderen Flurseite eingerichtet. Diese können von Angehörigen – Verwandte eines Bewohners beispielsweise kommen aus dem Kölner Raum – genutzt werden, die bei ihrem Besuch nicht die ganze Nacht brummenden Beatmungsgeräten ausgesetzt werden wollen. Auch eine Mitarbeiterin habe die Übernachtungsmöglichkeit genutzt, als bei Glatteis schon der Weg vom Parkplatz auf die Straße schwierig gewesen sei, ganz zu schweigen von einer Fahrt in den Westerwald.
Zu dieser Wohneinheit gehört auch eine Mitarbeiterküche. Diese wird aber derzeit zweckentfremdet: Die Pfleger machen dort Schnelltests, ziehen sich anschließend um – und warten das Ergebnis ab, bevor sie in den Wohnkomplex wechseln können.
Quelle: Dill-Zeitung