DEM ÄRZTEMANGEL AUF DEM LAND MIT GUTEN IDEEN BEGEGNEN
Hessische Städte- und Gemeindezeitung, September 2025
Die 4.600 Einwohner-Gemeinde Breitscheid ist mit ihrem Gesundheitszentrum zu einem Vorbild für andere Kommunen geworden.
Lange Arbeitszeiten, hohe Arbeitsbelastung, viel Bürokratie und fehlende finanzielle Anreize: Die Gründe für den Ärztemangel auf dem Land können vielseitig sein. Vor allem kleine Kommunen stellt der Ärztemangel vor große Herausforderungen, weil die ärztliche Versorgung vor Ort nicht gewährleistet werden kann und der Mangel negative Auswirkungen auf die gesamte Innenstadtentwicklung haben kann. In der Gemeinde Breitscheid wurde dem Problem auf ganz eigene Weise begegnet. In der 4.600 Einwohner zählenden Kommune aus dem Lahn-Dill-Kreis ist innerhalb von nur 32 Monaten ein komplettes Gesundheitszentrum entstanden – von der Bildung einer ersten Projektgruppe bis hin zur feierlichen Eröffnung durch den bereits nach wenigen Monaten gefundenen Investor.
Das Projekt wurde in diesem Jahr mit dem Hessischen Demografie-Preis 2025 ausgezeichnet und sorgt mittlerweile bundesweit für Medieninteresse.
Los ging in der Westerwald-Gemeinde alles im Jahr 2017: Mit Blick auf ihr fortgeschrittenes Alter hatten gleich mehrere Hausärzte das Gespräch mit der Breitscheider Verwaltung gesucht und auf den drohenden Ärztemangel vor Ort hingewiesen. Nur wenige Monate später bildete sich eine von der Verwaltung organisierte Arbeitsgruppe. Ihr gehörten neben den örtlichen Fraktionen der Gemeindevertretung auch Ärzte, der Apotheker, die Gemeindepflegestation, Banken oder auch Dienstleister aus dem Gesundheitsbereich an. Bereits zwei Monate später wurde mit einem heimischen Projektentwickler ein Investor gefunden, der das Gesundheitszentrum in enger Abstimmung mit den zukünftigen Mietern und der Verwaltung an der Medenbacher Straße für 6,5 Millionen Euro errichtete und nach nur 15 Monaten Bauzeit im August 2020 eröffnete.
Infrastruktur für kurze Wege und höhere Lebensqualität
Das dreistöckige Gesundheitszentrum vereint auf einer Gesamtmietfläche von 2.500 Quadratmetern mittlerweile eine Vielzahl von medizinischen, therapeutischen und sozialen Angeboten. Sie reichen von einer hausärztlichen Gemeinschaftspraxis und einer Praxis für Physio- und Ergotherapie über einen Hörgeräteakustiker bis hin zu einer Apotheke, einer Tagespflege mit ambulanter Pflegestation, einer Wohngemeinschaft mit Intensivpflege und einer Psychotherapiepraxis. In den Komplex integriert sind außerdem ein Friseur, eine Bäckerei mit Café und zwei Banken. Rund um das Gebäude befinden sich kostenlose Parkplätze. Insbesondere für ältere und mobilitätseingeschränkte Menschen sorgt die geschaffene Infrastruktur für kurze Wege und eine höhere Lebensqualität. Auch aus Sicht der heimischen Wirtschaftsförderung ist das Projekt ein Erfolg: Es zählt mittlerweile sechs Existenzneugründungen und viele neue Arbeitsplätze. Im Gesundheitszentrum sind heute mehr als 150 Personen beschäftigt.
„Hauptgrund für Verzögerungen sind fast immer persönliche Eitelkeiten“
Stellt sich die Frage, wie ein solch großes Projekt so schnell in die Tat umgesetzt werden konnte? Investor Torsten Germann hatte das Projekt bewusst unter den biblischen Leitsatz „Suchet der Stadt Bestes“ des Propheten Jeremia gestellt, wie er erklärt: „Der Hauptgrund für Verzögerungen, die die Umsetzung eines solchen Projektes verzögern, sind fast immer die Eitelkeiten einzelner. Wichtig ist deshalb, zuerst zu schauen, was für den Ort und nicht für mich als Einzelnen am besten ist. Das erleben wir hier deutlich. Dazu gehört dann auch, dass es egal ist, welche Person oder welche Partei zuerst die Idee für das Projekt hatte. Dieser vermeintlich nebensächliche Punkt sorgt vielerorts für unnötige Diskussionen.“
Neben dem Zurückstellen persönlicher Interessen wurde die schnelle Umsetzung des Projektes noch von weiteren Faktoren unterstützt: Eine Mischung aus eigenem Netzwerk, die Unterstützung durch die Gemeinde und ihren Bürgermeister sowie die Moderation. „Eine gute Projektmoderation ist neben einer ordentlichen Bauplanung fast die wichtigste Sache bei der eigentlichen Realisierung“, so Germann. „Es sollten sich immer alle Beteiligten, darunter die zukünftigen Mieter mit ihren Bedürfnissen abgeholt fühlen.“ Auch die Unterstützung durch Breitscheids Bürgermeister Roland Lay und sein Verwaltungsteam sei ein wichtiger Faktor gewesen: „Bei der Verwaltung hatte sich ein Mitarbeiter beispielsweise extra um das Thema Förderung gekümmert, so dass unter anderem die potenziellen Existenzgründer sofort früh über ihre Fördermöglichkeiten informiert waren.“
Die Suche nach dem passenden Investor
Germann rät Kommunen, die auf der Suche nach einem Investor sind, auch bei geeigneten Personen, Familien oder Unternehmen vor Ort zu schauen. „Da gibt es oft kluge Leute. Vor allem kennen sie die örtlichen Gegebenheiten und sind mit ihrer Heimat emotional verbunden. Germann selbst hatte nach eigenen Angaben auch einen persönlichen Antrieb für die Investition vor Ort: „Ich hätte das Geld auch irgendwo in einer Großstadt investieren können, das wäre sicher einfacher gewesen. Wenn ich aber an die Zukunft meiner Kinder und Enkelkinder in Breitscheid denke, war es hier eindeutig die richtige Entscheidung.“
Am Ende steht und fällt solch ein Projekt aber mit den Mietern. Um diese in der Breite zu vereinen, muss ein Investor auch etwas Glück haben, wie Germann berichtet: „Wir haben hier seit Beginn einen tollen Spirit, alle haben an einem Strang gezogen und sich auf die Fertigstellung gefreut. Klar ist aber auch: Wenn die Apotheke beispielsweise zwei Jahre vorher ihre eigenen Räumlichkeiten barrierefrei ausgebaut gehabt hätte, wäre sie sicherlich nicht in das Gesundheitszentrum eingezogen.“ Es kam wie bei vielen anderen anders.
Die guten Erfahrungen haben dazu geführt, dass Investor Germann aktuell auf der gegenüberliegenden Seite des Gesundheitszentrums für rund 1,5 Millionen Euro mehrere altersgerechte Wohneinheiten errichtet, die den Mietern einen kurzen Weg zum Gesundheitszentrum versprechen.
