INTERVIEW MIT BÜRGERMEISTER ROLAND LAY
Hessische Städte- und Gemeindezeitung, September 2025
„Wenn wir auf Berlin und Wiesbaden gewartet hätten, würde es in Breitscheid keine Ärzte mehr geben“
Das Gesundheitszentrum in Breitscheid hat spätestens durch den Gewinn des Hessischen Demografie-Preises hessenweit Beachtung gefunden. Die HSGZ hat mit Breitscheids Bürgermeister Roland Lay über die Entstehung des Gesundheitszentrums gesprochen, warum es vergleichsweise schnell umgesetzt werden konnte und darüber, welchen Wert es für Breitscheid heute besitzt.
HSGZ: Herr Bürgermeister Lay, das Gesundheitszentrum in Breitscheid wurde mit dem Demografie-Preis 2025 des Landes Hessen ausgezeichnet. Ihre rund 4.600 Einwohner zählende Gemeinde hat daraufhin ein riesiges Medienecho erfahren. Wie haben Sie die letzten Tage erlebt?
Bürgermeister Roland Lay: „Gerade überregional haben wir ein großes Echo gespürt. So haben etwa der Hessische Rundfunk, aber auch RTL und SAT1 im Fernsehen über Breitscheid berichtet. Darüber hinaus haben wir eine Anfrage vom ZDF erhalten, das eine Reportage drehen möchte. In der heimischen Presse ist das Thema dagegen kaum spürbar, was ich persönlich schade finde.“
HSGZ: Kommen wir zum Projekt selbst. Das Gesundheitszentrum wurde inmitten der Coronapandemie im Jahr 2020 eröffnet. Was hat sich seitdem durch die Ansiedlung in Breitscheid verändert?
Bürgermeister Roland Lay: „Sehr viel. Seit der Eröffnung gab sechs Existenzneugründungen mit vielen neuen Arbeitsplätzen. In dem Gebäude vom Gesundheitszentrum sind heute mehr als 150 Mitarbeiter beschäftigt, dazu sind viele Dienstleistungen entstanden. Wir spüren heute noch, dass die Nachfrage von Betrieben weiter steigt, so dass sich hier schon bald weitere Dienstleistungsbetriebe ansiedeln werden. Das Gesundheitszentrum ist für die Bürgerinnen und Bürger außerdem auch ein Treffpunkt geworden: Hier treffen sich die Menschen, nehmen die Dienstleistungen in Anspruch und sind glücklich, sich im Café zusammensetzen zu können.“
HSGZ: Gab es in all der Zeit auch kritische Stimmen?
Bürgermeister Roland Lay: „Kritische Stimmen gab es nur bei den Akteuren, die zwar in den Prozess miteingebunden waren, sich später aber dagegen entschieden haben, in das Gesundheitszentrum einzuziehen.“
HSGZ: Das Projekt konnte in vergleichsweiser kurzer Zeit umgesetzt werden. Welchen Anteil hatten Sie und Ihre Verwaltung daran?
Bürgermeister Roland Lay: „Das Projekt wurde Anfang 2018 mit der Gründung einer Projektgruppe in einer Sitzung der Gemeindevertretung gestartet. Die Arbeitsgruppe wurde von mir als Bürgermeister und meiner Verwaltung organisiert. In der Projektgruppe waren alle Fraktionen der Gemeindevertretung, die Ärzte, die Zahnärzte, der Apotheker, die Gemeindepflegestation, die Banken und alle Personen, welche im Dienstleistungsbereich tätig, beteiligt. In regelmäßigen Sitzungen wurde das mögliche Projekt besprochen.
Bereits im März 2018 wurde ein möglicher Investor gefunden, der schließlich ein vorhandenes Grundstück in Breitscheid gekauft hat. Gemeinsam mit mir als Bürgermeister wurde dann begonnen, das Grundstück zu beplanen und es wurden zahlreiche Gespräche mit möglichen Nutzern geführt. Im November 2018 konnte das Projekt dann in einer öffentlichen Sitzung der Gemeindevertretung vor über 150 Zuschauern vorgestellt werden. In den Folgemonaten wurden dann weitere Gespräche mit den möglichen Nutzern geführt, um mögliche Mietverträge vorzubereiten. Im Januar 2019 wurden die ersten Gespräche mit der Bauaufsicht des Lahn-Dill-Kreises geführt, um die Genehmigungsfähigkeit zu erörtern. Schon im April 2019 wurde die erste Teilbaugenehmigung erteilt, so dass unmittelbar danach der Babeginn starten konnte. Das Gesundheitszentrum wurde schließlich im August 2020 fertiggestellt und alle Betriebe konnten mit ihrer Arbeit beginnen.“
HSGZ: Als Bürgermeister haben Sie sich sehr stark für das Projekt eingesetzt. Genau genommen, tragen die Kommunen eigentlich nicht die Verantwortung für den vorherrschenden Ärztemangel bzw. die unzureichende ärztliche Versorgung vor Ort.
Bürgermeister Roland Lay: „Wenn wir auf Berlin und Wiesbaden gewartet hätten, würde es in Breitscheid keine Ärzte mehr geben. Wir haben das Heft selbst in die Hand genommen. Es ist die Aufgabe einer jeden Kommune dafür zu sorgen, dass die ärztliche Versorgung sichergestellt wird.
Ansonsten können die Kommunen umgangssprachlich „dicht machen“, weil keine Menschen mehr in diese Kommunen ziehen würden.“
HSGZ: Inwiefern hatte das Thema Stadtentwicklung speziell bei der Standortsuche für das geplante Gesundheitszentrum eine Rolle gespielt?
Bürgermeister Roland Lay: „Für solche Zwecke müssen nicht immer Grundstücke auf der grünen Wiese erschlossen werden. Wir haben ein vorhandenes ehemaliges Gewerbegrundstück genutzt, um das Projekt zu realisieren. Eine Nachverdichtung ist aus meiner Sicht immer sinnvoller und günstiger.“
HSGZ: Haben andere Kommunen schon angeklopft und sich nach dem Projekt erkundigt?
Bürgermeister Roland Lay: „Ja, wir haben schon sehr viele interessierte Kommunen durch unser Gesundheitszentrum geführt.
HSGZ: Eine persönliche Frage zum Schluss: Sie blicken in diesem Jahr auf eine 24-jährige Amtszeit als Bürgermeister zurück. Welche drei gut gemeinten Tipps würden Sie heute denjenigen mit auf den Weg geben, die zum ersten Mal zum Bürgermeister bzw. zur Bürgermeisterin gewählt werden?
Bürgermeister Roland Lay:
„1. Man sollte sich im Klaren sein, dass man nicht innerhalb kürzester Zeit alles wissen und auch leisten kann.
2. Vorhandene Strukturen sollten genutzt, weiter ausgebaut werden und man sollte mindestens zwei Personen als Vertrauenspersonen haben, die man befragen kann, wenn wichtige Entscheidungen anstehen.
3. Die politische Neutralität gegenüber den Gemeindegremien ist sehr wichtig.“
HSGZ: Vielen Dank für Ihre Antworten!
